Freitag, 22. Februar 2013

Schwellenwertberechnung - Optionen, Vertragsverlängerungen und Eventualpositionen

Die sorgfältige, objektive, realistische  und nachvollziehbare Schätzung des Auftragswertes ist von zentraler Bedeutung für die Vergabevorbereitung. Der öffentliche Auftraggeber muss das beabsichtigte Vergabeverfahren nur dann nach dem Vergaberecht gemäß GWB durchführen, falls die Schätzung des Auftragswertes gemäß § 3 VgV den Schwellenwert gemäß § 2 VgV erreicht oder übertrifft. Dabei werden alle Werte ohne Umsatzsteuer betrachtet.

Siehe dazu auch den Beitrag  Vergaberecht - Schätzung des Auftragswertes.

Doch sind bei der Schätzung des Auftragswertes (Schwellenwertberechnung) einige Besonderheiten zu beachten. Eine davon ist der Themenkomplex Auftragsoptionen/Eventualpositionen/Vertragsverlängerungen.

Sind im Auftrag Optionen, Eventualpositionen bzw. Vertragsverlängerungen vorgesehen, so ist der voraussichtliche Auftragswert aufgrund des größtmöglichen Auftragswertes unter Einbeziehung der Optionsrechte zu schätzen. Denn bei der Schätzung des Auftragswertes müssen auch  Optionen oder etwaige Vertragsverlängerungen gemäß § 3 Abs. 1, Satz 2 VgV mit berücksichtigt werden.

§ 3 Abs. 1 VgV
Bei der Schätzung des Auftragswertes ist von der geschätzten Gesamtvergütung für die vorgesehene Leistung einschließlich etwaiger Prämien oder Zahlungen an Bewerber oder Bieter auszugehen. Dabei sind alle Optionen oder etwaige Vertragsverlängerungen zu berücksichtigen.

Womit Artikel 9 Abs. 1, Satz 2 der EU-Richtlinie 2004/18/EG umgesetzt wird:
Grundlage für die Berechnung des geschätzten Auftragswertes ist der Gesamtwert ohne MwSt, der vom öffentlichen Auftraggeber voraussichtlich zu zahlen ist. Bei dieser Berechnung ist der geschätzte Gesamtwert einschließlich aller Optionen und der etwaigen Verlängerungen des Vertrags zu  berücksichtigen.


Schwellenwertberechnung mit Optionen oder Vertragsverlängerungen im Sektorenbereich

Für den Sektorenbereich gilt analog in § 2 Abs. 1 SektVO:

§ 2 Abs. 1 SektVO
Bei der Schätzung der Auftragswerte ist von der voraussichtlichen Gesamtvergütung für die vorgesehene Leistung auszugehen ohne Berücksichtigung der Umsatzsteuer. Dabei sind etwaige Optionen oder Vertragsverlängerungen zu berücksichtigen.


Schwellenwertberechnung mit Optionen oder Vertragsverlängerungen im Bereich verteidigung und Sicherheit

Ebenso gilt analog für den Bereich Verteidigung und Sicherheit in § 3 Abs.1 VSVgV:

§ 3 Abs.1 VSVgV 
Bei der Schätzung des Auftragswertes ist von der voraussichtlichen Gesamtvergütung ohne Umsatzsteuer für die vorgesehene Leistung einschließlich etwaiger Prämien oder Zahlungen an Bewerber oder Bieter auszugehen. Dabei sind alle Optionen und etwaige Vertragsverlängerungen zu berücksichtigen.


Begriff der Option im deutschen Vergaberecht

Als Problem stellt sich allerdings dar, dass der Begriff der Option im deutschen Vergaberecht nicht definiert ist. Das Bayerische Oberlandesgericht schreibt dazu BayObLG,Beschluss vom 18.06.2002 Verg 8/02):"Eine Definition des Optionsrechts enthält die Vergabeverordnung nicht. Es ist deshalb zur Begriffsbestimmung von deutschem Recht auszugehen. Das Optionsrecht ist das Recht, durch einseitige Erklärung einen Vertrag zustande zu bringen. Da die Vergabestelle durch eine spätere Erklärung, sie wolle die Bedarfsposition in Auftrag geben, einen entsprechenden Liefervertrag mit dem Auftragnehmer, der nach dem Zuschlag an sein Angebot gebunden ist, schließen kann, sind diese Positionen bei der Berechnung des Schwellenwertes zu berücksichtigen."

Alexander, § 3VgV Rn. 25 in Pünder/Schellenberg. Vergaberecht - Handkommentar, Nomos 2011, merkt allerdings an: "Dieser Ansatz dürfte idR zu sachgerechten Ergebnissen führen, ist jedoch methodisch bedenklich. Denn der Begriff der Option ist europarechtlich vorgegeben und muss demgemäß europarechtskonform ausgelegt werden. Es sind daher Abweichungen zum deutschen Rechtsverständnis möglich.


Einige Entscheidungen der Vergabekammern zu Schwellenwertberechnungen und Optionen:


VK Bremen VK 11/01 vom 23.01.2002
Der voraussichtliche Vertragswert ist [..] aufgrund des größtmöglichen Auftragswertes unter Einbeziehung der Optionsrechte zu schätzen. Bei den mit dem Leistungsverzeichnis abgefragten optionalen Leistungen handelt es sich [..] um Optionen, die die Vergabestelle berechtigen, die angebotenen Leistungen (zu den Angebotspreisen) zu verlangen, ohne dass eine erneute  Ausschreibung erfolgen muss [..].

VK Baden-Württemberg: 1 VK 29/03 vom 27.06.2003
Maßgebend für die Berechnung des Auftragswertes ist die geschätzte Gesamtvergütung für die nach den Verdingungsunterlagen vorgesehene künftige Leistung. [..] Sieht der Auftrag Optionen vor, so ist der voraussichtliche Auftragswert aufgrund des größtmöglichen Auftragswertes unter Einbeziehung der Optionsrechte zu schätzen. [..]
Der Schwellenwert ist jedoch unter Berücksichtigung der nach der Leistungsbeschreibung größtmöglichen Auftragssumme zu schätzen. [..] Berücksichtigt man die Eventualpositionen, ergibt sich nach Ansicht der Kammer ein Schätzwert, der über dem maßgebenden Schwellenwert von 200.000,-- € zu liegen kommt. 


VK Lüneburg VgK-75/2010 
Der Gesamtwert des verfahrensgegenständlichen Auftrags überschreitet entgegen der im vorliegenden Vergabevermerk dokumentierten Schätzung des Auftraggebers diesen Schwellenwert. Denn der Auftraggeber hat bei seiner [..] durchzuführenden Schätzung des Auftragswertes [..] lediglich die vertragliche Mindestlaufzeit [..] berücksichtigt und sich in der Folge deshalb für ein nur deutschlandweites Vergabeverfahren entschieden. Ausweislich der vorliegenden Leistungsbeschreibung [..] wurde der Auftrag jedoch für den Vertragszeitraum von zwei Jahren mit einer Verlängerungsoption um jeweils zwei weitere Jahre ausgeschrieben. Gemäß § 3 Abs 1 Satz 2 VgV sind bei der Schätzung des Auftragswertes ausdrücklich alle Optionen oder etwaige Vertragsverlängerungen zu berücksichtigen. 

VK Bund, Beschluss vom 29.1.2009,  3-200/08
Bedeutsam ist bei der Verlängerungsoption, dass diese - wie hier geschehen - von vornherein Bestandteil der Ausschreibung ist.

Das OLG Düsseldorf Az. VII-Verg 63/03 schreibt: "das  Optionsrecht ist das Recht, durch einseitige Erklärung einen Vertrag zustande zu bringen oder  die Vertragslaufzeit zu verlängern."
und kommt zu dem Ergebnis: Beinhalten Vertragsverlängerungsklauseln im Ergebnis kein Optionsrecht, dann ist für die Berechnung der Auftragssumme eine solche - sowohl in rechtlicher wie auch in und tatsächlicher Hinsicht - ungesicherte Perspektive ohne Bedeutung.

OLG Düsseldorf Beschluss vom 17.1.2006 VII-Verg 63/05
 Auf eine Vertragsverlängerung gerichtete Aussichten sind nicht in die Streitwertberechnung einzubeziehen. Der Vertrag sah eine - allein streitwertrelevante - Verlängerung durch einseitige rechtsgeschäftliche Erklärung einer Vertragspartei, eine Option, nicht vor. Der Vertrag sollte sich nur im gegenseitigen Einverständnis der Vertragsparteien um ein weiteres Jahr von zwei auf drei Jahre verlängern.


BayObLG, Beschluss vom 18.06.2002 Verg 8/02
Eine Definition des Optionsrechts enthält die Vergabeverordnung nicht. Es ist deshalb zur Begriffsbestimmung von deutschem Recht auszugehen. Das Optionsrecht ist das Recht, durch einseitige Erklärung einen Vertrag zustande zu bringen. Da die Vergabestelle durch eine spätere Erklärung, sie wolle die Bedarfsposition in Auftrag geben, einen entsprechenden Liefervertrag mit dem Auftragnehmer, der nach dem Zuschlag an sein Angebot gebunden ist, schließen kann, sind diese Positionen bei der Berechnung des Schwellenwertes zu berücksichtigen.

OLG Stuttgart Beschluss vom 9.8.2001 - 2 Verg 3/01
Der Auftragswert berechnet sich auf Grund des größtmöglichen Gesamtwertes unter Einbeziehung des Optionsrechte.

Das Seminar Praxisratgeber Vergaberecht - Schätzung des Auftragswertes
beschäftigt sich detailliert mit den Fragestellungen zum Schätzen des Auftragswertes und zur sorgfältigen, realistischen und nachvollziehbaren Schwellenwertberechnung.

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